62. Reisetag

Donnerstag, 16. Juli 2015

Von Svensby nach Tromsø

Der Morgen ist grau und regenverhangen. Das erste mal wieder seit meiner Abreise aus Honnigsvåg und die Wettervorhersage denkbar schlecht.

Am Abend vorher hatten mir Einheimische erzählt, die Straße nach Tromsø sei sehr schlecht, eng und nicht ganz ungefährlich für Radfahrer nicht nur auf Grund des ständigen Auf und Ab. So erkundigte ich mich nach einem Bustransfer, denn ich wollte auf den 56 km kein Risiko eingehen und auch dem bevorstehenden schlechten Wetter entgehen. Tatsächlich gibt es einen Bus, der zwei Mal täglich nach Tromsø fährt und auch Räder transportiert. Nur über die Abfahrtzeiten gab es unterschiedliche Angaben. Sie reichten von 08:15 h (Info vom Campingplatz) bis 09:30 h (Info der Postbotin). Um 08:00 h stand ich am Fährhafen, der gleichzeitig die Bushaltestelle ist. Gegen 09:20 h kam er dann endlich. Mein Blick in den Bus verhieß nichts Gutes. Leider habe er keinen Platz mehr für mein Gepäck, erklärte mir der Fahrer und um es mir zu zeigen, stieg er sogar aus und öffnete den vollen Kofferraum. Pech gehabt, dachte ich. Doch der findige Busfahrer sagte, ich solle einen LKW-Fahrer fragen, ob er mich mitnehmen könne, wie zum Beispiel den Sattelzug, der auch an der Fähre wartete. Er lief sogar noch mit mir zum Fahrer und nach einem kurzen Nicken sagte dieser zu, mich mitzunehmen. Ich weiß nicht, ob man so viel Hilfsbereitschaft bei einem Busfahrer und LKW Fahrer anderswo erfahren hätte. Liegt vielleicht an der Einsamkeit hier und der damit verbundenen Tatsache, manchmal selbst auf Hilfe angewiesen zu sein. Der LKW Fahrer wollte auf der anderen Seite auf mich warten und mich „aufladen“.

Nachdem wir mit der Fähre übergesetzt hatten, öffnete der Fahrer seinen LKW, mit Hub-Laderampe und wir verfrachteten das Rad in den leeren Laderaum. Was habe ich doch für ein Glück in solchen Situationen, die ich ja nun schon öfter hatte, auf hilfsbereite Menschen zu treffen. Wir fuhren los und ich muss sagen, ich habe noch nie so hoch über der Straße gesessen wie in diesem supermodernen Truck. Der Fahrer bestätigte mir auch noch mal, dass die Straße nichts für Radreisende ist, was sich im Laufe der Fahrt bestätigte, eng, in nicht sehr gutem Zustand und auch noch viel befahren. Das wäre keine Freude gewesen, hier zu fahren. Die Fahrt nach Tromsø gestaltete sich sehr kurzweilig, denn wie sich nach kurzem Gespräch herausstellte, war mein Chauffeur begeisterter Motorradfahrer und so war das Thema auf der Fahrt klar.

Nach ca. 1 Stunde Fahrzeit setzte er mich in der Nähe der Eismeerkathedrale ab und wir verabschiedeten uns herzlich. 12 Stunden blieben mir noch bis zur Abfahrt bzw. der Ankunft des Schiffes in Richtung Bodø. 12 Stunden bei gerade mal 6 Grad, kaltem Wind und teilweise heftigem Regen. Wetterkarte studieren und: Für die geplante Strecke – die ganze Woche Regen bei gleichbleibenden Temperaturen von 7 Grad. Ich habe mittlerweile so viel Wasser von oben genossen, dass die Tropfen heute das Fass zum Überlaufen brachten. Ich habe keine Lust mehr auf Regen, Kälte und Wind und werde heute das Schiff nicht nur Richtung Bodø nehmen, sondern bis Bergen durchfahren, nach Hirtshalts übersetzen und endlich wieder bei 20 Grad (für mich geradezu tropische Temperaturen) radeln.

 

Nachdem ich mich in einer Tankstelle gestärkt hatte, verblieb ich lange Zeit in der Eismeerkathedrale, hörte einem Orgelkonzert zu und machte Fotos. Still auf einer Bank sitzend schlief ich sogar ein, bis … ja bis ein älteres Ehepaar begann ein Lied zu singen. Sie kamen aus der Schweiz, wie ich später feststellte. Ich muss sagen die beiden haben das toll gemacht und viel Applaus von den Besuchern bekommen. Leider habe ich nicht das gesamte Lied auf Video bannen können sondern nur einen kleinen Teil. So gegen 14:30 Uhr trabte ich dann über die große Brücke in Richtung Innenstadt, Tromsø liegt ja teilweise auf einer Insel.

Ich suchte eine Pizzeria auf, denn der Hunger machte sich mal wieder bemerkbar. Dort traf ich beim Essen wie der Zufall so spielt einen anderen Radler, Sven. Er kommt aus dem französisch sprechenden Teil der Schweiz, ist über Deutschland und Schweden bei bestem Wetter gefahren und erleidet seit er in Norwegen ist, das gleiche Schicksal wie ich. Er war sogar schon so weit, dass er wieder nach Kopenhagen zurückfuhr bzw. flog, mit dem Zug und teilweise per Rad wieder nach Trondheim  kam, um von dort nach Tromsø zu fliegen. Auch er wollte unbedingt zu Kap unter Ausnutzung aller sich bietenden Möglichkeiten. Eine Odysse mit dem gleichen Ziel, wie ich es hatte – numquam desistere (nicht aufgeben – ich hoffe ich habe es richtig geschrieben, habe nur das kleine Asterixinum), immer wieder neue Wege suchen. Er wird auch mit dem Schiff nach Honnigsvåg fahren, um ans Kap zu kommen. Auch er hat, genau wie ich, viel Zeit, Mühe und Geld in sein Projekt gesteckt. Wir wünschten uns gegenseitig viel Glück auf dem weiteren Weg. Bis zur Ankunft des Schiffes blieben noch ein paar Stunden.

In der Nähe des Schiffsanlegers gibt es natürlich viele Gaststätten und Restaurants. So ging ich in den nächsten Pub, dort konnte ich mein Rad vor der Tür gut platzieren und hatte es immer im Blick. Obwohl ich sagen muss, mein Rad habe ich hier oben noch nie abgeschlossen und auch beim Einkaufen alle Gerätschaften dran gelassen. Nie wurde etwas gestohlen oder hat jemand am Rad hantiert. Ich weiß nicht, wie hoch hier oben die Eigentumskriminalität ist, meiner Erfahrung nach tendiert sie gegen 0.

Im Pub ging ich an die Theke und bestellte einen Kaffee. Meine vor Kälte offensichtlich rote Nase veranlasste wohl die Wirtin, mir den ersten Kaffee zu spendieren, sie müsse sowieso Frischen kochen, obwohl die Kanne noch halb voll war. Während ich meinen Kaffee trank betraten zwei Biker mit entsprechender Kutte eines bergener Motorradclubs den Pub. Sie mussten einen Tag Pause einlegen, da die Reifen gewechselt werden mussten. Mit ihnen kam ich ins Gespräch, einer von beiden hieß Trond. Sie erzählten mir, auf der Küstenstraße (die ich ja in der ersten Phase runterfahren wollte) nach Tromsø gekommen zu sein. Lediglich einen kurzen Regenschauer hätten sie abbekommen. Als ich ihm meine Regen-Geschichte erzählte, fing es, wie auf ein Stichwort , auch kräftig an zu regnen. Ich riet ihm, nicht dort zu biken, wo ich gerade unterwegs sei, beide mussten wir darüber lachen, denn sie fahren auf dem entgegengesetzten Weg, sie müssten schon in Richtung Kap unterwegs sein. Ich hoffe, sie haben gutes Wetter.

Das Schiff, die Nordnorge, lief bei strömendem Regen im Hafen ein, ich bin nass bis auf die Knochen und froh, endlich ins Trockene zu kommen. So sitze ich jetzt wieder an Bord und habe Zeit, an die vielen netten Begegnungen der Reise zu denken und dabei rückt das schlechte Wetter so weit in den Hintergrund, dass ich mir ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen kann, als ich mitbekomme, dass ein Ehepaar die „Schlechtwetterkarte“ studiert und sich im trockenen Schiff darüber ärgert. Immer mehr wird mir bewusst, welches Glück ich doch eigentlich habe, eine solche Reise, die ganz ganz anders geplant war, zu erleben. Meine Stimmung hebt sich, denn ich weiß: Jetzt geht es in die Sonne und 10 Grad wärmer ist es dort auch, so hoffe ich.

Statistik: Fällt heute aus

No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.